Straßenradsport-Weltmeisterschaften 1969

Die Straßenradsport-Weltmeisterschaften 1969 fanden für die Profis am 10. August im belgischen Zolder und für die Amateure vom 22. bis 24. August in der Tschechoslowakei, in Brünn, statt.

Für 1969 hatte sich die Tschechoslowakei um die Austragung der Weltmeisterschaften beworben, wollte aber nur die Amateur-Wettbewerbe ausrichten. Schon im Vorjahr waren die Wettbewerbe getrennt nach olympischen und nicht-olympischen Disziplinen gewesen. In diesem Jahr fand lediglich das Profi-Rennen in Zolder statt, die übrigen Rennen, auch das der Frauen, in Brünn.

Rennen der Profis

Für das Profi-Rennen wurde die 8,762 Kilometer lange Motorsport-Rennstrecke von Circuit Zolder gewählt, trotz Protesten von Eddy Merckx, der auf dieser flachen Strecke keine Chancen für sich sah. Der belgische Radsportverband entschied sich jedoch gegen die Interessen eines seiner besten Fahrer, da man auf der Rennstrecke Eintritt erheben konnte. Es gingen 93 Fahrer an den Start, von denen zwei Drittel das Ziel erreichten. Weltmeister wurde der Außenseiter Harm Ottenbros aus den Niederlanden. Der abgeschlagene Merckx scherte 300 Meter vor dem Ziel aus dem Peloton aus und verschwand, um nicht an den vollbesetzten Tribünen vorbeifahren zu müssen. Bester Deutscher wurde Rolf Wolfshohl auf Rang zehn.

Rennen der Amateure und der Frauen

Im Amateur-Straßenrennen gingen 171 Fahrer aus 31 Nationen an den Start, dabei zehn deutsche wie Jürgen Tschan, Wilfried Trott und Algis Oleknavicius. Gefahren wurde auf dem Masaryk-Ring. Bester Deutscher auf Platz 55 wurde Josef Flachs aus Aachen. Der Deutsche Meister Michael Becker wurde disqualifiziert, weil er sich außerhalb der dafür vorgesehenen Zone verpflegt hatte. Den abermaligen Sieg der schwedischen Fåglum-Brüder im Mannschaftszeitfahren kommentierte die Zeitschrift Radsport: „Gegen diese Petterssons ist kein Kraut gewachsen“.[1]

Bei dem Rennen der Frauen, das unter strömendem Regen litt, waren 43 Fahrerinnen am Start. Die Strecke war mit rund 69,7 Kilometern nahezu 15 Kilometer länger als die in den Jahren zuvor. Die Siegerin, die US-Amerikanerin Audrey McElmury, kam mit 50 Sekunden Vorsprung ins Ziel und errang damit das erste Regenbogentrikot für die USA seit 1912, als Frank Kramer Sprint-Weltmeister auf der Bahn geworden war. McElmury, die im Vorjahr Fünfte der WM geworden war, hatte ihre Reisekosten selbst übernehmen müssen, da der US-Radsportverband (angeblich) nicht genug Geld hatte. Für die Offiziellen in Brünn war ihr Sieg derart überraschend, dass es eine halbe Stunde dauerte, bis man ein Band mit der amerikanischen Nationalhymne aufgetrieben hatte.[2]

Zwei deutsche Fahrerinnen – Gisela Nagel und Ursula Bürger – waren am Start, die im Mittelfeld landeten. Die Berichterstattung über das Rennen der Frauen in der deutschen Fachzeitschrift Radsport fiel in diesem Jahr deutlich ausführlicher und anerkennender aus als in den Jahren zuvor. Allerdings konnte sich auch dieser Berichterstatter (Helmer Boelsen) nicht verkneifen zu erwähnen, dass die Siegerin Audrey McElmury Mutter eines zweijährigen Sohnes sei, und dass die deutschen Fahrerinnen diese „Tortur“ „erschöpft“ und „wacker“ überstanden sowie dem starken Regen getrotzt hätten „trotz der leidenden Frisuren“ (sie trugen Helme!).

Politisches Umfeld

Der Termin der Weltmeisterschaften in Brünn kollidierte mit dem ersten Jahrestag des Einmarschs der Ostblock-Staaten in die Tschechoslowakei zur Niederschlagung des Prager Frühlings: In den Straßen standen russische Panzer, bewaffnete Soldaten patrouillierten, und die Zuschauer am Straßenrand bejubelten die amerikanischen Sportler euphorisch.[3] Dementgegen herrschte „[…] eisiges Schweigen beim Einzug der Fahne mit Hammer und Zirkel aus Ostdeutschland, wütende Pfiffe und hektische Ablehnung für die rote Fahne der Sowjetunion“. Der Präsident des tschechoslowakischen Radsportverbandes, Dr. Rudolf Böhm, bat die Zuschauer, Pfeifen und Buhen gegen russische Fahrer einzustellen, da ansonsten die Rad-WM gefährdet sein könne, aber diese hielten sich nicht daran.[1]

Ergebnisse

Frauen

Straßeneinzelrennen über 69,7 km

Platz Athlet Land Zeit
1 Audrey McElmury Vereinigte Staaten USA 2:04:27 h
2 Bernadette Swinnerton Vereinigtes Konigreich GBR 2:05:37 h
3 Nina Trofimowa Sowjetunion 1955 URS gleiche Zeit

Männer – Profis

Straßeneinzelrennen über 262,860 km

Platz Athlet Land Zeit
1 Harm Ottenbros Niederlande NED 6:23:44 h
(41,099 km/h)
2 Julien Stevens Belgien BEL gl. Zeit
3 Michele Dancelli Italien ITA + 2:21 min

Männer – Amateure

Straßeneinzelrennen über 181,233 km

Platz Athlet Land Zeit
1 Leif Mortensen Danemark DEN 4:38:30 h
(39,924 km/h)
2 Jean-Pierre Monseré Belgien BEL 4:39:29 h
3 Gustaaf Van Roosbroeck Belgien BEL gleiche Zeit

Mannschaftszeitfahren (96,9 km)

Platz Land Mannschaft Zeit
1 Schweden SWE Erik Pettersson/Gösta Pettersson/
Sture Pettersson/Tomas Pettersson[4]
2:01:17 h
2 Danemark DEN Mogens Frey/Jørgen Emil Hansen/
Jørn Lund/Leif Mortensen
2:03:02 h
3 Schweiz SUI Xaver Kurmann/Bruno Hubschmid/
Josef Fuchs/Walter Bürki
2:07:58 h

Literatur

  • Helmer Boelsen: Die Geschichte der Straßen-Weltmeisterschaft, Bielefeld 2007, S. 110, ISBN 978-3-936973-33-4.
  • Radsport, August/September 1969

Einzelnachweise

  1. a b Radsport, 26. August 1969
  2. Hickoksports.com (Memento vom 16. Dezember 2011 im Webarchiv archive.today) (englisch)
  3. Peter Nye: Hearts of Lions, Markham 1988, S. 228–230.
  4. s. Fåglum-Brüder

Siehe auch

Kopenhagen 1921 | Liverpool 1922 | Zürich 1923 | Paris 1924 | Apeldoorn 1925 | Mailand 1926 | Nürburgring 1927 | Budapest 1928 | Zürich 1929 | Lüttich 1930 | Kopenhagen 1931 | Rom 1932 | Montlhéry 1933 | Leipzig 1934 | Floreffe 1935 | Bern 1936 | Kopenhagen 1937 | Valkenburg 1938 | 1939–1945 | Zürich 1946 | Reims 1947 | Valkenburg 1948 | Kopenhagen 1949 | Moorslede 1950 | Varese 1951 | Luxemburg 1952 | Lugano 1953 | Solingen 1954 | Frascati 1955 | Ballerup 1956 | Waregem 1957 | Reims 1958 | Zandvoort / Rotheux 1959 | Sachsenring 1960 | Bern / Douglas 1961 | Salò 1962 | Ronse 1963 | Sallanches 1964 | Lasarte-Oria 1965 | Nürburgring 1966 | Heerlen 1967 | Imola / Montevideo 1968 | Zolder / Brünn 1969 | Leicester 1970 | Mendrisio 1971 | Gap 1972 | Barcelona 1973 | Montreal 1974 | Yvoir 1975 | Ostuni 1976 | San Cristóbal 1977 | Nürburgring 1978 | Valkenburg 1979 | Sallanches 1980 | Prag 1981 | Goodwood 1982 | Altenrhein 1983 | Barcelona 1984 | Giavera del Montello 1985 | Colorado Springs 1986 | Villach 1987 | Ronse 1988 | Chambéry 1989 | Utsunomiya 1990 | Stuttgart 1991 | Benidorm 1992 | Oslo 1993 | Agrigento 1994 | Bogotá 1995 | Lugano 1996 | San Sebastián 1997 | Valkenburg 1998 | Verona 1999 | Plouay 2000 | Lissabon 2001 | Zolder 2002 | Hamilton 2003 | Verona 2004 | Madrid 2005 | Salzburg 2006 | Stuttgart 2007 | Varese 2008 | Mendrisio 2009 | Melbourne 2010 | Kopenhagen 2011 | Limburg 2012 | Florenz 2013 | Ponferrada 2014 | Richmond 2015 | Doha 2016 | Bergen 2017 | Innsbruck 2018 | Yorkshire 2019 | Imola / Emilia-Romagna 2020 | Flandern 2021 | Wollongong 2022 | Glasgow 2023 | Zürich 2024 | Kigali 2025 | Montréal 2026 | Haute-Savoie 2027 | Abu Dhabi 2028