Gemeine Schafgarbe in der Medizingeschichte

Gemeine Schafgarbe (Achillea millefolium). Die in den Kräuterbüchern der Antike, der Spätantike und des Mittelalters aufgeführten Pflanzennamen lassen sich nur sehr unsicher den uns bekannten Pflanzenarten zuordnen.[1]

Dioskurides und Plinius (1. Jh.) nannten zwei Pflanzen, die später als Schafgarbe gedeutet wurden, das

  • achilleion mit den Heilwirkungen: Wundheilung, Entzündungshemmung, Blutstillung, als Tampon auch an der Gebärmutter; die Abkochung innerlich gegen Blutflüsse und Dysenterie und das
  • stratioton chiliophyllon (tausendblättriges Stratioton) mit den Heilwirkungen: Blutstillung, Heilung von Wunden und Fisteln.[2][3]

Galen (3. Jh.) charakterisierte eine Pflanze mit Namen millefolium kurz als trocknend und wundheilend.[4]

Im spätantiken Kräuterbuch Pseudo-Apuleius (4.–6. Jh.) wurden für das millefolium folgende Anwendungen genannt:

  1. Die Wurzel gegen Zahnschmerz.
  2. Das Kraut in Fett zerrieben als Auflage zur Heilung von Schnitt- und Stichwunden (vulnera de ferro facta).
  3. Das Kraut mit Butter zerrieben als Auflage gegen Schwellungen (tumores).
  4. Das Kraut mit Essig getrunken gegen Probleme beim Wasserlassen (urinae difficultates).[5][6][7]

Hildegard von Bingen übernahm in ihrer Physica (12. Jh.) die Angaben früherer Autoren zur Wundheilung der von ihr garwa genannten Schafgarbe und fügte als weitere Indikation Dreitagefieber hinzu. Die garwa sollte zusammen mit einer Pflanze namens polypodium (gedeutet als Gewöhnlicher Tüpfelfarn) in Wein gekocht werden und das Durchgesiebte sollte man dem Kranken vor dem erwarteten Anfall des Dreitagefiebers eingeben.[8][9][10]

Erwähnt wurde die Gemeine Schafgarbe auch in vielen kräuterheilkundlichen und botanischen Handschriften und Drucken des Spätmittelalters und der frühen Neuzeit.[11][12][13][14][15]

Im 17. und 18. Jahrhundert wurde die Schafgarbe von den Hallenser Klinikern Georg Ernst Stahl und Friedrich Hoffmann als Allheilmittel betrachtet, das sie insbesondere bei „nervöser Atonie“, bei Koliken mit Blähungen und bei Bleichsucht („passiver Hämorrhagie“) einsetzten, und noch im 19. Jahrhundert wurde die Pflanze in Deutschland in der Kategorie Tonica oder Roborantia als Mittel zur allgemeinen Kräftigung geführt.[16]

Historische Abbildungen

  • Achillios Wiener Dioskurides 6. Jh.
    Achillios Wiener Dioskurides 6. Jh.
  • Stratiotes chiliophyllos Wiener Dioskurides 6. Jh.
    Stratiotes chiliophyllos Wiener Dioskurides 6. Jh.
  • Miriofillon – Millefolium Pseudo-Apuleius Kassel 9. Jh.
    Miriofillon – Millefolium Pseudo-Apuleius Kassel 9. Jh.
  • Vitus Auslasser 1479
    Vitus Auslasser 1479

Einzelnachweise

  1. Otto Brunfels: Contrafayt Kreüterbůch. Straßburg 1532, Vorwort, Kapitel 19 (Digitalisat) – Henry E. Sigerist: Studien und Texte zur frühmittelalterlichen Rezeptliteratur. Barth, Leipzig 1923, Vorwort, S. V. – Charles Singer: The herbal in antiquity. In: The journal of hellenistic studies. Band 47 (1927), S. 1–52. - Brigitte Hoppe: Das Kräuterbuch des Hieronymus Bock. Wissenschaftshistorische Untersuchung. Mit einem Verzeichnis sämtlicher Pflanzen des Werkes, der literarischen Quellen der Heilanzeigen und der Anwendungen der Pflanzen. Hiersemann, Stuttgart 1969 – Gundolf Keil: Phytotherapie und Medizingeschichte. In: Zeitschrift für Phytotherapie. Band 6, 1985, S. 172–178, u. a.
  2. Julius Berendes: Des Pedanios Dioskurides aus Anazarbos Arzneimittellehre. Stuttgart 1902, Buch IV, Kapitel 36: achilleios (Digitalisat) und Buch IV, Kapitel 101: stratiotes chiliophyllos (Digitalisat).
  3. Plinius: 1. Jh. Naturalis historia, Buch XXV, § 42, Kapitel XIX (Text Latein) – Übersetzung Philipp H. Külb, Stuttgart 1855, Buch XXV (Kapitel XIX) (Digitalisat)
  4. Galen: De simplicium medicamentorum temperamentis ac facultatibus. Buch VII, Kapitel XII/29 (Nach Kühn 1826, Bd. XII, S. 81): millefolium (Digitalisat).
  5. Pseudo-Apuleius, 4. Jh., Druck Rom 1481 (Digitalisat)
  6. H. F. Kästner (Hrsg.): Pseudo-Dioscorides de herbis feminis. In: Hermes. Band 31, 1896, S. 613–614 (Digitalisat)
  7. Kai Brodersen: Apuleius, Heilkräuterbuch / Herbarius, lateinisch und deutsch. Marix, Wiesbaden 2015, S. 154–155 ISBN 978-3-7374-0999-5
  8. Charles Victor Daremberg und Friedrich Anton Reuß (1810–1868): S. Hildegardis Abbatissae Subtilitatum Diversarum Naturarum Creaturarum Libri Novem. Physica, Buch I, Kapitel 113: Garwa. Migne, Paris 1855. Sp. 1175 (Digitalisat)
  9. Herbert Reier. Hildegard von Bingen. Physica. Nach der Textausgabe von J. P. Migne, Paris 1882 ins Deutsche übersetzt. Kiel 1980, S. 37. - Marie-Louise Portmann. Hildegard von Bingen. Heilkräfte der Natur – Physica. Herder, Freiburg 1993, S. 131–132
  10. Irmgard Müller. Die pflanzlichen Heilmittel bei Hildegard von Bingen. Otto Müller, Salzburg 1982, ISBN 3-7013-0630-3, S. 88.
  11. Köhler's Medizinal-Pflanzen. Eugen Köhler, Gera 1887, Band I, No 70
  12. Karl Sudhoff: Alexander Hispanus und das Schriftwerk unter seinem Namen. Ein erstes Wort über ihn und Bekanntgabe seiner medizinischen Schriften. In: Sudhoffs Archiv. 29 (1936), S. 289–312; 30 (1937), S. 1–25.
  13. Gerold Hayer: Elixir Nicolay Frawenlob von Hiersperg. Untersuchungen zur Überlieferung eines spätmittelalterlichen heil- und naturkundlichen Hausbuches (mit Teiledition). Göppinger Arbeiten zur Germanistik Nr. 304. Kümmerle, Göppingen 1980, S. 185–265, ISBN 3-87452-486-8
  14. Brigitte Baumann, Helmut Baumann: Die Mainzer Kräuterbuch-Inkunabeln – „Herbarius Moguntinus“ (1484) – „Gart der Gesundheit“ (1485) – „Hortus Sanitatis“ (1491). Wissenschaftshistorische Untersuchung der drei Prototypen botanisch-medizinischer Literatur des Spätmittelalters. Hiersemann, Stuttgart 2010, ISBN 978-3-7772-1020-9.
  15. Brigitte Hoppe: Das Kräuterbuch des Hieronymus Bock. Wissenschaftshistorische Untersuchung. Mit einem Verzeichnis sämtlicher Pflanzen des Werkes, der literarischen Quellen der Heilanzeigen und der Anwendungen der Pflanzen. Hiersemann, Stuttgart 1969, S. 222
  16. Köhler's Medizinal-Pflanzen. Eugen Köhler, Gera 1887, Band I, No 70

Weblinks

  • Frankfurt, Ms. germ. qu. 17, Elsass, 1. Viertel 15. Jh., Bl. 344rb: „Garwel waſſer iſt gut getruncken fur die wurme vnd iſt gut getruncken dem der ſine varwe verloren het von blutende.“
  • Galgant-Gewürz-Traktat. Heidelberg Cpg 620, Südwestdeutschland, 15. Jh., Blatt 90v–91r
  • Nikolaus Frauenlob 15. Jh. Heidelberg Cpg 583, Mattighofen, 1482–1486, Blatt 28r --- Heidelberg Cpg 666, Kurpfalz, 1478–1480, Blatt 113r–112v
  • Herbarius Moguntinus, Peter Schöffer, Mainz 1484, Kapitel 85
  • Gart der Gesundheit, Peter Schöffer, Mainz 1485, Nachdruck Augsburg 1485, Kapitel 254
  • Hortus sanitatis, Jacobus Meydenbach, Mainz 1491, Kapitel 295
  • Hieronymus Brunschwig: Kleines Destillierbuch, Johann Grüninger, Straßburg 1500, Blatt 54r
  • Otto Brunfels: Ander Teyl des Teütschen Contrafayten Kreüterbůchs, Johann Schott, Straßburg 1537,S. 21
  • Hieronymus Bock: New Kreütter Bůch Wendel Rihel, Straßburg 1539, Teil I, Kapitel 160
  • Leonhart Fuchs New Kreütterbuch …, Michael Isingrin, Basel 1543, Kapitel 278
  • Georg Ernst Stahl: Materia medica. Band II, Simplicia. Dresden 1731, S. 154: Schaafs-Garbe
  • Albrecht von Haller (Herausgeber). Onomatologia medica completa oder Medicinisches Lexicon das alle Benennungen und Kunstwörter welche der Arzneywissenschaft und Apoteckerkunst eigen sind deutlich und vollständig erkläret [...]. Gaumische Handlung, Ulm/ Frankfurt am Main/ Leipzig 1755, Sp. 1012–1013
  • William Cullen: Lectures on the materia medica.Lowndes, London 1772, S. 208
  • Johann Dietrich Philipp Christian Ebeling (Übersetzer): Wilhelm Cullens Materia Medica. Weygand, Leipzig 1781, S. 210
  • Jean-Louis Alibert. Nouveaux éléments de thérapeutique et de matière médicale 2. Auflage, Paris 1808, Band I, S. 137–138.
  • Carl Wilhelm Juch: Pharmacopoea Borussica oder Preußische Pharmakopoe. Aus dem Lateinischen übersetzt, und mit Anmerkungen und Zusätzen begleitet. Stein, Nürnberg 1805, S. 48: Flores Millefolii --- S. 74 Herba Millefolii --- S. 219 Extractum millefolii, ex Herba cum floribus
  • August Friedrich Hecker’s practische Arzneimittellehre. Revidiert und mit neuesten Entdeckungen bereichert von einem practischen Arzte. Camesius, Wien, Band I 1814, S. 276–277
  • Jonathan Pereiras Handbuch der Heilmittellehre. Nach dem Standpunkte der deutschen Medicin bearbeitet von Rudolf Buchheim. Leopold Voß, Leipzig, Band II 1848, S. 421–422
  • August Husemann und Theodor Husemann: Die Pflanzenstoffe in chemischer, physiologischer, pharmakologischer und toxikologischer Hinsicht. Für Aerzte, Apotheker, Chemiker und Pharmakologen. Springer, Berlin 1871, S. 792: Achilleasäure --- S. 945: Achillein, Achilletin
  • Hermann Hager: Commentar zur Pharmacopoea Germanica, Julius Springer, Berlin, Band I (1873), S. 661: Schafgarbenextract --- Band II (1874), S. 36: Schafgarbenblüten --- Band II (1874), S. 140: Schafgarbenkraut
  • Robert Bentley, Henry Trimen: Medicinal plants. J. & A. Churchill, London 1880, Band 3 (No 153)
  • Theodor Husemann: Handbuch der gesamten Arzneimittellehre. 2. Aufl. Springer, Berlin 1883, S. 661–662